Wo zum Teufel kommt der Teufel her?

Das ewige Geheimnis von Gut und Böse - Der „Teufel“ hat viele Facetten. Er ist der Widersacher Gottes, der Verführer der Menschen, der Herrscher der Hölle, die Stütze des Christentums, er hat Aspekte einer Schöpfergottheit und er ist – eine Ausrede.

Der Teufel und die Religion


In einem langen theologisch-rationalen Prozess wurde aus der naturphilosophischen Idee der ersten Differenzierung des Einen in Geist und Materie die Rebellion und der Fall der Engel. Es wurde also letztlich etwas, eine Kraft, eine Macht, gleichwertig und gleich subtil wie der Geist – der spätere Gott – zu etwas Bösem gemacht. So wurde die ursprüngliche Differenzierung (das Unterscheiden verschiedener Facetten einer ursprünglichen Einheit) zu einer Trennung, und aus dieser Trennung entwuchs schließlich eine eigene „Wesenheit“, der Teufel. Das Gedeihen dieser Idee eines „Teufels“ bedarf aber auch eines Umfeldes, in dem sie keimen und wachsen kann. Dieses Umfeld wird naturgemäß von den Religionen geschaffen. In unserem Kulturbereich vertreten Theologen und Soziologen heute die Auffassung, dass das Christentum die höchstentwickelte monotheistische Religion ist. Das kann man sicherlich bejahen im Hinblick auf die rationale Trennung des Menschen von seinem spirituellen Ursprung, nicht aber in Bezug auf die Einheit des Menschen mit dem Heiligen.
Als antithetische Religion ist die christliche Vorstellungswelt dualistisch, also sehr stark von Gegensätzen geprägt wie: gut und böse, recht und unrecht, Himmel und Hölle, wobei der Teufel und mit ihm die Sünde die Antithese schlechthin ist. Der Mensch ist – nach christlicher Auffassung – a priori sündig und kann nur durch die göttliche Gnade, symbolisiert durch den Kreuzestod Jesu, von der Sünde und damit dem Teufel befreit werden. Der Teufel ist nun zwar durch den Kreuzestod besiegt, aber dem Menschen gegenüber beileibe nicht machtlos, sodass der Mensch ständig auf der Hut sein muss, um nicht von ihm vereinnahmt zu werden.
Das Lebensziel des Menschen ist damit festgelegt: Ein gottgefälliges Leben führen (was gottgefällig ist, bestimmen die Glaubenssätze der jeweiligen Religionen und Kirchen), um nach dem Tod das Paradies, den Inbegriff der Seligkeit, zu erreichen und die „Hölle“, die ewige Bestrafung, zu vermeiden. Von menschlicher Entwicklung, die mit Eigenverantwortung einhergeht, ist keine Rede; ganz im Gegenteil, die wird stigmatisiert. Vor allem die Kirchenväter Augustinus und Thomas von Aquin wetterten gegen die menschliche Vernunft und finden sie als Mittel, um Seligkeit zu erlangen, völlig ungeeignet. Für sie ist der einzige Weg zur Seligkeit der blinde Glaube an die Gnade Gottes.
Man kann also getrost behaupten, dass in einer – nach heutigem Standard – hoch entwickelten Religion der Entwicklungsgrad der dazugehörigen Menschen im Allgemeinen eher niedrig sein wird. Das trifft nicht auf das Rationale zu, das sogar sehr stark ausgeprägt sein kann, sondern auf die innere – spirituelle – Entwicklung des Menschen, seine ethischen Vorstellungen und moralischen Handlungen.
Die detailliert ausformulierte Existenz des Teufels bedarf zweier Faktoren: einer durchrationalisierten Theologie und Menschen, die in philosophischer Hinsicht unbedarft sind.
Der Teufel wird so zur religiösen Notwendigkeit. Sein Vorhandensein erklärt die Theodizee (das Vorhandensein des Bösen in der Welt); er ermöglicht durch die Furcht vor ewiger Strafe das Ausüben von Kontrolle und Macht seitens der religiösen Autoritäten; durch ihn kann sich die organisierte Religion als notwendige Institution rechtfertigen und er ist auch die Rechtfertigung des Einzelnen für seine Schwächen und Fehler. So gesehen ist der Teufel eine absolute Notwendigkeit für alle Seiten: ein religiöser Win-win-Faktor.


Der Teufel und seine Symbole


KhnumDas Christentum stellt obwohl es die Liebe exaltiert, das Trennende, Konfessionelle in seiner Praxis in den Vordergrund, und daher musste es  im Laufe seiner Entstehung und Entwicklung die autochthonen Götter zu Teufeln machen. So nimmt der Teufel die Formen der alten griechischen, ägyptischen und germanischen Götter an: Er hat einen Pferde- oder Ziegenfuß wie der Gott Pan, er hinkt, stinkt nach Schwefel und wohnt in der feurigen Hölle wie Hephaistos oder Vulkan; er hat die Form eines Widders wie der ägyptische Gott Khnum; er trägt einen Schlapphut wie Odin und die Wilde Jagd des Odin ist sein Geleit; seine Bräute sind die zu Hexen „degradierten“ weisen Frauen …
Auch Tiere werden „verteufelt“. Vor allem die Schlange, einst Inbegriff von Weisheit, wird zur  Verführerin, weil sie Adam und Eva aus dem Zustand naiver Ignoranz zur selbstbestimmten Intelligenz leitet. Da Selbstbestimmung nicht im christlichen Religionsbild enthalten ist, wird die Schlange zum Widersacher. Die Fledermaus muss herhalten, wenn der Teufel mit deren Flügeln, einer „Degradierung“ der Engelsflügel, dargestellt wird. Er wird aber auch mit der Fliege assoziiert und generell mit allem Gewürm und krabbelnden Wesen. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, darauf detaillierter einzugehen, es sei nur gesagt, dass diese Tiere die Antithese zur christlichen Ideenwelt schlechthin sind.
Symbolisch gesehen ist dabei auch so mancher Fauxpas passiert, etwa wenn der Teufel zu Luzifer, dem Lichtbringer wird. Luzifer ist der Morgenstern, die Venus, die römische Göttin der Liebe, und diese wird symbolisch auch mit dem Erzengel Michael identifiziert. Der Teufel ist somit isomorph mit seinem größten Gegner. Oder wenn Jahve, dessen Planet symbolisch gesehen der Saturn ist, mit Satan, dem Saturn, gleichzusetzen ist: Damit wären ja Gott und der Teufel ein und dieselbe Person …


Der Teufel als persönliche und institutionelle Ausrede


Aber abgesehen von diesen theologisch-symbolischen Hoppalas ist der Teufel natürlich auch eine persönliche Notwendigkeit. Da die sogenannten „Erlöserreligionen“ in der Gottheit das Gute – also das, was sie als gut erachtet – sehen, ist für sie das Nicht-Gute oder das Böse nur sehr schwer erklärbar. Vor allem auf der Ebene des persönlichen Schicksals, das aus ihrer Sicht auf der Gnade Gottes und nicht primär auf eigenen Anstrengungen basiert, ist seine Existenz schwer begreiflich zu machen. Daher wird es personifiziert und somit auf den armen „Teufel“ und seine Schar der Dämonen ausgelagert.
Das kann man bei allen Religionen feststellen, die den Erlösergedanken aufgegriffen haben. Nachdem der Monotheismus in Mesopotamien eingeführt wurde, wurden die Annunakis dämonisiert, die die mythologischen „Verwalter“ des Schicksals auf allen Ebenen der Natur waren. Sie sind von Prüfern und Helfern zu übel wollenden Dämonen geworden. Dasselbe gilt für die indischen Heilsreligionen, die dem Amisdismus (Amitabha-Buddhismus) zugeordnet werden können. Hier wurde der Gott Indra und seine Helfer, die Maruts, dämonisiert. Das Christentum war hier schlauer und hat diese Wesenheiten teilweise beschönigend zu persönlichen Schutzengeln gemacht.
Das im Teufel personifizierte Böse tritt als der Verführer auf, der dem Menschen übel will und ihn gegen Gott zu vereinnahmen sucht. Und das passt dem Menschen ganz gut, denn so kann er seine Schwächen rechtfertigen und sie auf den Einfluss des Teufels abschieben. Gleichzeitig verleiht es auch den Kirchen, den „Bollwerken“ gegen den Teufel, ihren Daseinsgrund. So gesehen ist der Teufel der perfekte Werbeträger (oder modern gesagt, „Testimonial“) für die Erlöserreligionen.


Das Trennende


Was ist der Teufel aber wirklich? Ich denke, dass kein Leser glauben wird, dass der Höllenfürst als Person an sich existiert. Auf der anderen Seite sind aber die Existenz und die Auswirkungen des „Bösen“ durchaus zu spüren.
Die traditionelle Philosophie sieht das Böse nicht als etwas Eigenständiges, sondern als die Abwesenheit des Guten durch Unwissenheit. Sitz dieser Unwissenheit ist der Intellekt, der Verstand, den die indischen Philosophen den „Wunschgeist“ nannten. Seine Eigenschaft ist das Analysieren, das Trennende, Modellbildende und daher Reduzierende. Der Verstand kann nicht holistisch denken, er braucht Modelle, die die Welt auf sein Niveau herunterbrechen. Dadurch wird er „diabolisch“ (gr. „diabolein“: trennen, zerstückeln). Er überträgt die Gesetze der Materie auf die Welt des Geistes und zieht diesen sozusagen zu sich herunter. Und – er maßt sich den Alleinherrschaftsanspruch auf die Welt an und macht diese so zur Hölle, weil er den Menschen aus seinem Eingebettetsein in das große Ganze reißt.
Das Gute, Gerechte und Schöne wird so zur persönlichen Vorliebe, der Wunsch und das Wollen zum Gesetz des Stärkeren und der „Krieg“ in seinem verwerflichsten Aspekt zum Werkzeug, um diese Ansprüche im Individuellen wie auch im Kollektiven durchzusetzen. So gesehen personifiziert der Teufel das Streben nach Gütern und persönlichen Vorteilen als Lebenszweck.


Plädoyer für eine Welt ohne Teufel


Die Frage drängt sich natürlich auf, ob es eine Welt ohne Teufel geben könnte? Ich glaube ja, zumindest in einer langfristigen Perspektive. Die Voraussetzungen dafür muten vielleicht utopisch an, unmöglich sind sie aber nicht.
Als Erstes müssten sich die Religionen auf ihre eigentliche Aufgabe des „religare“ besinnen, des Wiederverbindens des Menschen mit dem Göttlichen, das in ihm selbst als großteils brachliegendes Potenzial schlummert. Damit würden sie zu Philosophie im eigentlichen Sinn des Wortes, also der Liebe zur Weisheit und der Suche nach ihr, ohne persönlichen Gott und andere hindernde – weil trennende – Elemente.
Dann müsste sich die Politik auf ihre eigentliche Aufgabe besinnen: Strukturen zu fördern und aufrechtzuerhalten, die ein gedeihliches Zusammenleben der Menschen in einem Kollektiv möglich machen. Sie müsste das Gemeinwohl wieder vor die individuellen Interessen stellen und überzeitlich gültige ethische Normen und moralisches (in Sinne des kant´schen kategorischen Imperativs) Handeln fördern und fordern.
Auch die Wissenschaft sollte sich vom Primat des Wissens über die Dinge hinwenden zum Verstehen des inneren Aufbaus der Welt und seiner Relevanz für die Menschen. Sie müsste nicht „Wissen“ schaffen, sondern Verstehen, das für die Entwicklung des Menschen nutzbar gemacht werden kann. Sie sollte eher im Sinne des hermetischen „wie innen, so außen“ arbeiten.
Und letztlich müsste auch die Kunst ihre eigentliche Aufgabe wahrnehmen. Sie ist nicht Provokation und Egomanie um jeden Preis, sondern soll den Archetyp des Schönen sichtbar, hörbar und spürbar machen. Die Schönheit ist es letztlich, die uns die Gottheit erahnen und suchen lässt, die dem Verstand immer ein Rätsel sein wird.
Dann hätte der Teufel in seiner dämonischen Form ausgedient, er könnte ruhigen Gewissens in Pension gehen. Und – er könnte wieder zum Freund der Menschen werden, weil auch er wieder seine – symbolisch natürlich – ursprüngliche  Aufgabe des Prüfens, Erprobens und Helfens erfüllen könnte.

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 138, Oktober 2014 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht, Autor: Mag. Martin Peschaut
Copyright: Verlag Filosofica, Münzgrabenstraße 103, 8010 Graz

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