Auf der Suche nach Artus

Wie alle Mythen haben jene von König Artus die Zeiten überdauert und dabei wichtige zeitlose Werte übermittelt, die dazu dienen, menschliche Zivilisationen aller Zeitalter zu inspirieren.

Es ist nicht immer einfach, in dieser Legende die Elemente dokumentierter Geschichte von jenen magischer Folklore abzugrenzen. Doch womöglich ist es gerade der rätselhafte Charakter dieser Geschichte, der uns dazu anregt, ihre Essenz zu untersuchen und sie herauszufiltern, um sie auf unser Zeitalter anzuwenden.


Obwohl der kleine Artus direkter königlicher Abstammung war, wurde er der Legende nach von dem Zauberer Merlin, einem großartigen Lehrer, im Geheimen großgezogen. Nach dem Tode des Königs Uther Pendragon war deshalb kein Erbe zugegen, was eine Zeit des Aufruhrs und der Unbeständigkeit verursachte. Merlin prophezeite, dass jener, dem es gelingen würde, ein majestätisches, magisches Schwert namens Excalibur aus dem Stein zu ziehen, von dem es umschlossen war, rechtmäßig zum neuen König gekrönt werden sollte.


Artus erfüllte diese Prophezeiung, ohne sich dessen bewusst zu sein und wurde dazu gedrängt, sein Schicksal anzunehmen und den englischen Thron zu besteigen. Dies läutete ein nie da gewesenes Goldenes Zeitalter des Wohlstands und der Kultur ein, das von Werten der ritterlichen Höflichkeit und heroischen Taten geprägt war. Es waren glorreiche Zeiten der Ritterlichkeit, in denen Ritter und Damen sich der Legende nach dem Ausdruck nobler Werte verpflichteten, wie etwa Treue, Selbstbeherrschung, Großzügigkeit, Mitgefühl, Gnade, Gerechtigkeit und Ehre.



Wie wunderbar wäre es, wenn heutzutage ein Excalibur gefunden werden würde, um auch in unserer Zeit einem solchen Goldenen Zeitalter zur Geburt zu verhelfen? Wo könnten wir es finden? Und wie könnte sich sein Schicksal entfalten, um sich in unserer Welt zu manifestieren? Trotz des beachtlichen technischen Fortschritts, den wir in den letzten hundert Jahren genährt haben, müssen wir uns fragen: Haben unsere Fortschritte dazu beigetragen, das menschliche Dasein zu verbessern? Sind wir heute bessere Menschen ... glücklicher oder weiser als zuvor? Wenn wir auf diese Fragen nur zögerlich Antwort geben können, bin ich der Meinung, dass wir irgendwo im Laufe der Geschichte vergessen haben, wozu dieser Fortschritt überhaupt dienen sollte. Die Werte, die das Reich von König Artus geleitet haben, scheinen in Vergessenheit geraten zu sein. Dadurch sind wir in ein ethisches Vakuum geraten, in eine Art rechtlosen Wettkampf, in dem sich jeder alleine durchschlagen muss – zumeist auf Kosten der anderen und ohne Rücksicht auf irgendeine Verpflichtung gegenüber dem Kollektiv. Wenn wir das Erbe, das wir zukünftigen Generationen hinterlassen, ändern wollen, müssen wir uns zunächst selbst ändern: Wir müssen wieder zu Rittern und Damen werden, damit unsere Welt eine neue Blütezeit erfahren kann.




Geschichtsbücher ebenso wie Märchen vermitteln ein eindrucksvolles Bild eines Ritters in glänzender Rüstung auf einem wunderschönen weißen Ross. Als Vorbild für Ästhetik und Anstand, Experte für Kampfkunst und Herr seines Schwerts lag die Hauptpflicht eines Ritters darin, die Bewohner des Königreichs vor jeglicher Ungerechtigkeit zu schützen. Interessanterweise taucht die Symbolik eines edlen Kriegshelden, der für das Wohlergehen einer gerechten Gesellschaft Sorge trägt, nicht nur in der Folklore des europäischen Mittelalters auf. Wir finden sie in einer ganzen Reihe antiker mythologischer Traditionen. Dies deutet darauf hin, dass es einen dauerhaften inneren Kampfzustand gibt, in dem der Ritter zunächst seine eigenen inneren Feinde besiegen muss – die vielen Laster – um anschließend aus einem inneren moralischen Kampf als Sieger hervorzugehen. Dieser innere Sieg drückt sich im Äußeren durch den Glanz seiner Rüstung aus, ein Ausdruck des glänzenden Charakters des Ritters sowie durch das Leben ritterlicher Werte wie Treue, Gerechtigkeit und Ehre und das Bestreben, das Beste zu verkörpern, das ein Ritter sein kann.



In einem scheinbaren Gegensatz zu diesem Kriegergeist steht die sanfte Höflichkeit, die ein Ritter oder eine Dame in jeder Interaktion an den Tag legt. Das ikonischste Bild, das diese Qualität darstellt, ist jenes des Ritters, der von seinem Pferd springt, seinen Umhang abnimmt und damit eine Pfütze abdeckt, damit die Dame diese ohne das geringste Unbehagen überqueren kann. Der Brauch, einer Dame den Stuhl am Tisch zurechtzurücken oder ihr die Tür zu öffnen, hat seinen Ursprung vermutlich in dieser Höflichkeit. Heute fühlen sich diese Bräuche oft unnatürlich an und werden manchmal ins Lächerliche gezogen.


Feministen könnten diese sogar als respektlos empfinden. Wir dürfen aber nicht außer Acht lassen, dass diese Gesten der Höflichkeit als ein natürlicher Ausdruck einer inneren höflichen Haltung gedacht waren. Das Wort „Höflichkeit“ bezeichnet das am Hofe angemessene Betragen, also jene Arena, in der sich alle Adligen förmlich verhielten, was Aufmerksamkeit und Bewusstsein erforderte. Grund dafür war nicht der Wert der Förmlichkeit an sich, sondern die Tatsache, dass das gezeigte Verhalten natürlicher Ausdruck eines tugendhaften und höflichen Charakters war. Darauf folgt, dass diese Höflichkeit sich auf alle anderen Lebensbereiche außerhalb des höfischen Lebens erstreckte.



Heute haben sich soziale Normen radikal verändert. Förmlichkeit wird oft als künstlich und nicht authentisch betrachtet und ist daher verpönt. Das ist in Ordnung. Dadurch scheinen wir aber auch die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein für unser Verhalten verloren zu haben, nämlich dafür, was wir sagen, wie wir es sagen, wie wir uns benehmen, etc. Vielleicht ist diese Feststellung ungerechtfertigt. Aufmerksame Übungen, die durch das antike Symbol der doppelseitigen Axt oder dem Schwert der Artus-Legende dargestellt werden, vertiefen die innere Moral eines Menschen auf natürliche Weise, während fortschreitende innere Arbeit sich zwangsläufig in Handlungen ausdrückt. Handlungen selbst können sich also verändern und in jeder neuen Generation unterschiedliche Ausdrucksformen annehmen.


Dennoch müssen wir uns beständig dem inneren moralischen Fortschritt, der inneren Tiefe, widmen Das ist es, was uns unterscheidet und uns wirklich zu Menschen macht. Um das zu erreichen, kann es wertvoll sein, antike Bräuche wieder zu beleben, die unsere moralische Entwicklung unterstützen können. Das wiederum wird uns wahrscheinlich zu höflicheren Menschen machen und unseren Umgang miteinander und mit unserer Umwelt verbessern.




Der Hof von König Artus bestand aus legendären Rittern und Damen, die sich auf heroische Missionen begaben, die manchmal brutale männliche Stärke, manchmal aber subtilere feminine Empfindungen erforderten. Die Eroberungen und Errungenschaften dieser Missionen dienen uns als großartige Inspirationsquelle. Allerdings lassen wir uns leicht von ihrem Glanz vereinnahmen, träumen von Siegen und fantasieren von großartigen Triumphen. Es ist möglich, dass unser individuelles Schicksal solche Siege bereithält. Diese sind aber nur Wunschträume, wenn wir in Wirklichkeit vor unseren täglichen Herausforderungen zurückscheuen oder uns von ihnen besiegen lassen.


Wir träumen zwar davon, dem Hunger in der Welt ein Ende zu bereiten, sind aber sogar zu faul, um unser eigenes Wasserglas zu füllen. Zwar wünschen wir uns, in einem Land zu leben, das von einem moralischen Menschen geführt wird, sind aber zu schwach, um einem tyrannischen Hooligan die Stirn zu bieten. Das Heldenhafte eines Helden hängt nicht vom Ruhm seines Schicksals ab, sondern davon, ob er täglich bescheidene Herausforderungen überwindet, die sein Schicksal zum Ruhm lenken. In diesem Sinne könnte man sagen, dass ein wahrer Ritter oder eine wahre Dame sich am meisten durch einen edlen Charakter auszeichnet. So wie ein edles Metall wie Gold gegen die Oxidation resistent ist und dauerhaft seinen Glanz bewahren kann, sagt man von den Handlungen eines Edelmanns oder einer Edelfrau, dass sie immer heldenhaft makellos bleiben.



Die Lehren, die wir aus der Tradition der Ritter und Damen ziehen können, mögen heutzutage zu anspruchsvoll oder sogar unrealistisch erscheinen. Es ist mit Sicherheit unwahrscheinlich, dass eine bevorstehende Revolution plötzlich den Lauf der Geschichte ändern wird. Doch wir müssen uns an die Lehren der Bhagavad Gita erinnern, die uns dazu aufrufen, zu handeln, ohne an die Früchte unserer Handlungen gebunden zu sein. Vielmehr müssen wir handeln, weil es richtig ist. Vielleicht werden wir erleben, dass sich unsere Wirklichkeit im Laufe unseres Lebens transformiert. Das kann sich über mehrere Generationen hinweg ereignen. Das ist nicht von Bedeutung. Bedeutend sind die bewussten Beiträge zu dieser Entwicklung, die in dem Erbe, das wir hinterlassen, unsterblich werden. Wichtig ist, unsere besten Absichten mit wirkungsvollen Handlungen zu vereinen.



Das Spannende daran ist, dass diese Einheit gänzlich von jedem von uns abhängt, von der mächtigen Willenskraft, mit der nur wir Menschen ausgestattet sind und die in der tiefsten Kammer unseres Bewusstseins ruht. Obwohl sie von äußeren Belastungen wie Angst und Schwäche unterdrückt wird, übersteigt diese Kraft jede andere, sobald sie entfesselt wird. Doch ebenso wie Artus, der Excalibur mit festem Griff umschloss, benötigen wir hierfür Entschlusskraft, Ausdauer und harte Arbeit. Zudem braucht es dafür die Herrschaft seiner selbst und Siege über tägliche moralische Kämpfe, wovon jeder eine Möglichkeit zum Wachsen, Lernen und zur Entwicklung ist.


Genau in diesem Prozess liegt der Ruhm, der einem legendären Ritter oder einer legendären Dame gebührt. Denn jeder kann eine Schlacht gewinnen, wenn er Zugang zu den besten Waffen hat. Das Schmieden dieser Waffen hingegen ist nur einigen wenigen vorbestimmt.


Artikel von Harianto Mehta, Übersetzung von Eva-Maria Bellinger

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