Vertraut und Sinn stiftend - Heimat

Treffpunkt Philosophie - Neue Akropolis

Von der Heimat als Grundbedürfnis des Menschen - Heimat ist ein Gefühl des Hingehörens.

Obwohl sie sich einer rein intellektuellen Definition entzieht, ist sie doch im Menschen vielschichtig „eincodiert“. Sie übersteigt das rein Individualistische und macht den Einzelnen zum Teil eines größeren Ganzen.


So gern der Mensch einzigartig wäre, so sehr er davon überzeugt ist, unabhängig und frei zu sein – er kann ohne den anderen nicht Mensch sein. Menschsein ist eine Summe von zivilisatorischen Elementen, die ihn zum ethischen Wesen Mensch macht.
Zivilisatorische Elemente formen unterschiedliche Kulturen. Jeder Mensch empfindet nun den Set von Werten und Traditionen, mit denen er aufgewachsen ist, als etwas zutiefst Vertrautes, tief Eingeprägtes, und als letztlich das, was für ihn Heimatbedeutet. Denn Heimat ist genau das: ein Konglomerat von Traditionen, geologischen Gegebenheiten und kollektiven Denkmustern, die ein Gefühl der Zugehörigkeit, der Geborgenheit und des Zusammengehörens erzeugen.
Heimat hat, so gesehen, verschiedene Komponenten, die oft ineinander übergreifen und sich miteinander vermischen: In der Literatur spricht man von geologischen, soziologischen, ethnischen, moralischen, politischen, religiösen und spirituellen Komponenten.
All diese und noch einige mehrvermitteln dem Individuum letztendlich Heimat: Das Vertraute, wohin man gehört, wofür man steht und wofür man auch bereit ist, Opfer zu bringen.
Und das ist ein wesentlicher, wenn nicht gar der wesentlichste Punkt der Heimat: Sie gibt dem Einzelnen Transzendenz, sie ist etwas, das über das rein Persönliche hinausgeht, ihn mit dem großen Ganzen verbindet und seinem Leben Sinn gibt. Dieses Gefühl des Hingehörens ist somit eines der großen Grundbedürfnisse des Menschen. „Heimat“ zu haben beinhaltete noch bis ins 19. Jh. bestimmte Privilegien (z. B. Versorgung durch Staat oder Gemeinde); es bedeutete für den Einzelnen Sicherheit, Überleben und damit ein Gefühl der inneren Stärke im Sinne des „einer für alle, alle für einen“.


Manipulative Instrumentalisierung der Heimat


Da jedes Bedürfnis, sei es natürlich oder künstlich hervorgerufen, in irgendeiner Form befriedigt werden will, macht es den Menschen empfänglich für manipulative Mechanismen speziell in Politik und Religion.
Wie das Heimatgefühl pervertiert wurde, zeigen die Weltkriege, wo Menschen dazu manipuliert wurden, sich gegenseitig abzuschlachten und das als gut und richtig empfanden, weil es um „die Heimat“ ging. Heute wird manipuliert, wenn es darum geht, materielle Interessen gegen andere Länder, Völker und Gruppierungen durchzusetzen. Das ist heute gut in den pro und contra-Polemiken rund um Ausländer, Flüchtlinge und Islam zu verfolgen.


Als Folge davon bekommt der Begriff „Heimat“ einen negativen Beigeschmack, da er mit Engstirnigkeit, Intoleranz und Gewalt assoziiert wird. In Österreich und Deutschland wird er immer noch mit der völkischen Blut- und Boden-Mentalität der NSDAP identifiziert und damit (siehe Martin Walcher) mit „Zurückgebliebenheit“ gleichgesetzt.
Dadurch werden aber die positiven Aspekte der „Heimat“  verdrängt: zu Hause sein, Gastfreundschaft jenseits des Kommerziellen, Selbstsicherheit, Geborgenheit, Vertrauen, usw. Überall, wo Menschen sich „in ihrer Heimat“ fühlen, sind sie tendenziell glücklich, teilen das, was sie haben und sind offen gegenüber Neuem. Die Heimat im positiven Sinn ist daher abzugrenzen von der im negativen Sinn instrumentalisierten „Heimat“, die das Trennende anstatt des Einenden in den Vordergrund stellt.
Und vor allem sind Länder und Gemeinschaften, die es schaffen, die Heimat in vielen Aspekten positiv zu belegen, im Inneren ungemein stark und so durch fremde Interessen kaum zu bezwingen.


Will man daher ein Land oder eine Gemeinschaft vernichten oder kontrollieren, muss man nur eines tun: durch gezielte Propaganda erreichen, dass die Menschen sich nicht mehr zugehörig fühlen.


Politik und Wirtschaft weichen auf und zerstören


Wenn man Menschen ihrer Heimat entfremdet, nimmt man ihnen ihre zivilisatorische Basis und kann diese dann durch „Heimatersatz“ austauschen, die den dominierenden Interessen der jeweiligen Machthaber dienen.
Ein Beispiel dafür ist die „Integration“ der Zuwanderer in unsere Gesellschaft. Was nimmt ein Mensch, der aus seinem Heimatland vertrieben wird, mit? Die Erinnerung an seine Heimat. Und damit einhergehend seine traditionellen Lebensformen, die er auch in der Fremde bewahren möchte. Will man ihm diese nehmen, leistet er Widerstand bis hin zu Radikalisierung. Daher wird Integration durch Umerziehung, wie sie heute angestrebt wird, nie funktionieren können. Sie bezweckt nur, dass diese Menschen durch Verlust ihrer Traditionen und Übernahme neuer (unserer) Werte ihre Traditionen aufweichen und schließlich auflösen, um in der Masse aufzugehen und keine „Gefahr“ mehr darzustellen. Solange wir das Anderssein einer Kultur nicht akzeptieren und wertschätzen, bauen wir an Parallelgesellschaften mit explosivem Konfliktpotenzial.


Durch wirtschaftliche Globalisierung (Senkung der Produktionskosten), Markenpolitik (Durchsetzung hoher Verkaufspreise durch Kundenbindung) und der damit einhergehenden Preistreiberei bei gleichzeitigem Lohndumping wurde die Familie als Grundlage von Heimat und Werten nachhaltig zerstört, da beide Ehepartner arbeiten müssen, um allen gesellschaftlichen Ansprüchen gerecht werden zu können. Die damit verbundene moralische Umerziehung gilt heute als erstrebenswert. Die explodierende Anzahl psychischer Erkrankungen (Depressionen, Burn-out etc.) und all ihrer Begleiterscheinungen wie Drogen, Medikamentenmissbrauch, Alkoholismus sowie der allgegenwärtigen Lebenskrisen zeigen das deutlich. Die Folge davon ist, dass es immer weniger funktionierende Familienstrukturen gibt, in denen Kinder daher keine entsprechende Erziehung mit den dazugehörigen Traditionen und Werten mehr erhalten. Das virtuelle soziale Netzwerk wird zur „Heimat“, mit all seinen – meist negativen – Folgen. Die heutige Generation wächst damit auf und verliert zunehmend die Fähigkeit der sozialen Interaktion. Das Ergebnis davon sind vereinsamte, weitgehend infantile Menschen, die ihre „Geborgenheit“ im Konsum und dessen Trends finden. Leichte Beute für Verführer aller Arten: Industriekonzerne, politische Parteien, religiöse Fanatiker und politische Extremisten.


Verstärkend wirken politische Strömungen, die alles, was mit Heimat zu tun hat, ablehnen und dadurch zur Auflösung der traditionellen Strukturen beitragen – was als Gegengewicht automatisch eine Radikalisierung vor allem der nicht-intellektuellen Mehrheit forciert. Dieser Trend ist derzeit in Europa zu beobachten, wo die politisch radikalen und religiös konservativen Strömungen immer mehr zunehmen.


Daraus folgt, dass sich der Mensch (zumindest in unserem Land) nicht mehr heimisch fühlt. Die Heimat wird ersetzt durch ein strukturloses „Netzwerk“ in den entsprechenden Medien, durch kulturelle Indoktrination mit fremden Werten in Fernsehen, Kino und Printmedien und vor allem dem Internet. All das führt rapide zu Orientierungslosigkeit und damit (denn worauf soll man sich denn sonst stützen?) zu überzogenem Individualismus. Die Ergebnisse davon sind uns bekannt: zunehmende Respektlosigkeit anderen gegenüber, Ausbeutung der Ressourcen und Missachtung der Natur auf allen Ebenen; Radikalisierung und Fanatisierung von Gruppen, wodurch die „Heimat“ durch die Hintertür in ihrer negativen Ausprägung wieder zurückkehrt.


Mögliche Alternativen für einen neuen Menschen


Natürlich wird man die „Heimat“ in ihrer traditionellen und durchaus romantisierten Form nicht zurückholen können. Sie hätte in dieser Form auch keine Funktion mehr und würde niemandem nutzen. Aber dennoch ist eine Form von Heimat nötig, in der der Mensch sich aufgehoben und geborgen fühlen kann und in der er sein Sein transzendieren kann.
Wo findet sich so eine Heimat? Um das zu beantworten, stelle man sich die Frage: „Was ist das, was immer bei mir ist, egal, wo ich mich befinde“? Und das – bin ich selbst. Um seine Heimat zu finden, ist es daher unabdingbar, erst einmal sich selbst zu finden. Sich in sich selbst sicher und geborgen zu fühlen. Erkennen, dass man selbst die einzige Person ist, auf die man letztendlich zurückgreifen kann, und dass man die eigentliche Stärke nur in sich selbst findet. Das hat zur Folge, dass man unabhängig wird von äußeren Gegebenheiten; egal, wo man sich befindet – man ist immer daheim.


Das ist auch die Grundidee des Weltbürgers: Die Welt als Heimat sehen, wo immer man gerade ist. Die großen Konzerne versuchen das auf eine extrem materialistische Art: Überall, wohin man kommt, gibt es das Gleiche, man fühlt sich also auf einer Ebene immer „zu Hause“. Aber: Ein Sprichwort sagt: „Wer überall zu Hause ist, ist nirgends daheim“. Heimatlos ist somit der, der innerlich ohne Basis und von äußeren Umständen abhängig ist.
Heimat ist jedoch ein subjektiver, innerer Wert. Sie ist eine Haltung, die es möglich macht, überall „daheim“ zu sein aufgrund innerer Gegebenheiten.


Der Weltbürger (Global Citizen) ist überall daheim, weil er seine Heimat in sich trägt. Er ist ohne ethnische, soziale, religiöse und ökonomische Vorurteile, weil er weiß: „Sei gütig – jeder, den du triffst, kämpft einen harten Kampf“ (John Watson). Und das ist es, was uns Menschen eint: das gemeinsame Streben nach Vervollkommnung. Dieses Wissen, in der Praxis angewandt, sollte unsere eigentliche Heimat sein.


Dieser Artikel von Mag. Martin Peschaut erschien erstmals in der Ausgabe Nr. 143/2016 des Magazins Abenteuer Philosophie; mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Filosofica; Copyright: Verlag Filosofica, Münzgrabenstraße 103, 8010 Graz; www.abenteuer-philosophie.org

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