Wie stirbt ein unbesiegbarer Krieger?
Aufrecht kniend, mit seinem Schwert in der Hand ...
Miyamoto Musashi, mit vollem Namen Shinmen Musashi-no-kami Fujiwara no Genshin, wurde im Jahr 1584 in einem Dorf namens Miyamoto geboren.
Es ist wenig bis nichts überliefert bis zu seinem 7. Lebensjahr. Er verlor früh seinen Vater, womöglich lief er auch von Zuhause fort. Er fand bei einem Onkel, der als Priester arbeitete, eine neue Obhut und widmete sich in den folgenden 6 Jahren dem Studium des Kampfes und verschiedener Künste wie Kalligrafie und Malen. Schwert und Pinsel gehörten in der Kriegerausbildung zusammen.
Musashi galt als eigenwilliger, sogar als gewalttätiger Junge und war für sein Alter erstaunlich groß. Ob er von seinem Onkel ermutigt wurde oder sich selbst die Dinge beibrachte, wissen wir nicht. Sein erster Kampf war gegen einen fahrenden Kämpfer und das in einem Alter von gerade einmal 13 Jahren.
Er gewann den Zweikampf, der mit dem Tod seines Gegners endete. Daraufhin verließ er seine Heimatstadt, ohne jemals wiederzukehren. Er begab sich auf sogenannte „Kriegerwallfahrt“ und galt daher als Shugyosha. Ähnlich wie die Ronin, die herrenlosen Samurai, galten die Shugyoshas als ungebunden und lebten außerhalb der Gesellschaft. Im Gegensatz zu den Ronin lebten sie aber meist in selbst gewählter Armut und verfolgten mehr asketische und spirituelle Ziele.
„Stehe fest auf deinen Füßen, als würdest Du über eine schmale Brücke über ein tiefes Tal gehen.
Beachte andere nicht, aber beobachte alles, was sie tun!“
Die Schlacht von Sekigahara
Über die nächsten drei Jahre verliert sich die Spur Musashis weitgehend. Erste Aufzeichnungen über ihn findet man wieder bei der Schlacht von Sekigahara aus dem Jahre 1600. Jene gilt als eine der größten Schlachten der japanischen Feudalzeit, bei der über 160.000 Soldaten und Samurai kämpften. Sie endete in einem entscheidenden Sieg von Tokugawa über die Verbündeten der Toyotomis unter Ishida Mitsunari.
Für die freien Kämpfer war es damals üblich, im Interesse anderer zu kämpfen und im nächsten Kampf auf der gegnerischen Seite zu stehen. Das war für sie eine Gelegenheit, sich einen Namen zu machen und die Aufmerksamkeit eines Lehnsherrn zu gewinnen. Speziell die Shugyoshas konnten auf dem Schlachtfeld wertvolle Erfahrungen sammeln, die man als „das Schlachtfeld ausborgen“ bezeichnete.
In den großen Schlachten kamen jedoch auch die schrecklichen und für unser westlich geprägtes Denken unmenschlichen Aspekte der Samurai zum Vorschein wie die Kopfjagd. Feindliche Kämpfer wurden verfolgt, massakriert, und schlussendlich die Köpfe der Unglückseligen zu hohen Türmen aufgestapelt. Köpfe von bekannten Kriegern oder Generälen wurden frisiert und an ihre Familien zurückgeschickt. Das mag für manch einen sehr grausam und schauerlich wirken, bei eingehender Beschäftigung mit der Philosophie des Bushido und der Einstellung der Samurai zum Tod wird einem aber bewusst, wie unwichtig ihnen der Körper war.
Schlafe nicht unter einem Dach. Trage kein Geld und kein Essen bei dir. Gehe an Orte, vor denen sich der einfache Mann fürchtet. Lass dich einsperren und befreie dich durch deine Weisheit.“
Die Duelle in Kyoto
Mit 20 Jahren tauchte er 1604 in Kyoto auf, der damaligen Hauptstadt und dem spirituellen Zentrum des Landes. Kyoto wurde zum Schauplatz einer Fehde zwischen Musashi und der Familie Yoshioka, einer Linie von angesehenen Schwertfechtern. Schon sein Vater soll gegen die Yoshiokas gekämpft haben, gewann allerdings nur zwei von drei Duellen. Eventuell lag hierin ein Beweggrund für Musashis Vorgehen. Der Älteste der Yoshiokabrüder Seijuro nahm die Herausforderung an, obwohl Musashi in seinen Augen nicht viel mehr als ein Landstreicher und Gesetzloser sein konnte. Seijuro war bekannt für seine Konzentrationsfähigkeit und trat das Duell mit gesammeltem Geist an, nachdem er am Morgen in seinem Garten meditiert hatte. Doch Musashi kam nicht.
Daraus erkennt man sein bemerkenswertes Verständnis der Psychologie des Kampfes. Musashi ließ seinen Gegner über Stunden warten und als er dann auftauchte, war dessen Konzentration dahin. Schon mit dem ersten Schlag wurde Seijuro hingestreckt, das Oberhaupt einer der angesehensten Schwertschulen lag schmachvoll im Staub.
Um die Ehre der Familie wieder herzustellen, forderte nun der jüngere Bruder DenshijiroMusashi zum Kampf. Denshijiro war bekannt für seine hitzköpfige Art. Abermals erschien Musashi zu spät und abermals tötete er seinen Gegner mit einem selbst geschnitzten Holzschwert, einem Bokuto. Der übrige Yoshioka-Clan konnte die Situation so nicht auf sich beruhen lassen. Dass zwei Meister von einem Unbekannten besiegt wurden, war eine große Schmach, die bereinigt werden musste. Die dritte und letzte Konfrontation erfolgte noch in der gleichen Woche, wobei die Yoshiokas nichts dem Zufall überlassen wollten und eine große Anzahl gut bewaffneter Gefolgsleute entsandten. Musashi ahnte jedoch den Hinterhalt und kam diesmal lange vor den Kontrahenten am vereinbarten Treffpunkt an. Aus dem Nichts tauchte er inmitten der Yoshiokas auf. Zum ersten Mal kam seine Zwei-Schwerter-Technik zum Einsatz, mit der er die Gruppe überwältigte, den letzten Bruder der Yoshiokas tötete und sich seinen Weg durch die restlichen Kämpfer bahnte. So plötzlich, wie er auftauchte, verschwand Musashi aus Kyoto auch wieder.
„Nimm von deinem Gegner alles, was er hat und nutze es zu deinem Vorteil.“
Shimonoseki
Während der nächsten Jahre wanderte Musashi wieder durch Japan und verfolgte weiterhin die Vollendung seiner Kunst.
Er besiegte viele Gegner, darunter auch einen Mann namens Shishido, einen Meister mit der Kusarigama, der Kettensichel. Sie ist eine der schwierigsten und gefährlichsten Waffen der Samurai.
Musashi bestritt viele Duelle und gewann anscheinend alle, doch wurde die Anzahl potenzieller Gegner immer kleiner, was ihn 1612 nach Shimonoseki führte. Hier sollte er auf seinen letzten und erfahrensten Gegner treffen. Sasaki Kojirō , bekannt als „Dämon der westlichen Provinzen“, war ein exzellenter Kämpfer mit dem Langschwert, der ebenfalls seinen eigenen Stil (Tsubame-gaeshi = Schwalbenschwung) entwickelt und eine eigene Schule begründet hatte. Musashi bat bei dessen Herrn um einen sogenannten „Vergleich der Techniken“, da damals für formelle Duelle stets eine bürokratische Zusage benötigt wurde, welche manchmal wochenlang auf sich warten ließ. Der Bitte wurde schließlich stattgegeben und das Duell sollte am nächsten Morgen um 8 Uhr auf einer Insel vor der Stadt ausgetragen werden. Als die Gesellschaft pünktlich mit dem Schiff eintraf, war Musashi jedoch nirgends zu sehen.
Er war am Abend zuvor bei einem Verwandten untergekommen und hatte verschlafen. Schließlich musste ein Bote hingeschickt werden, der ihn weckte. Sie waren schon spät dran, doch Musashi ließ sich nicht hetzen; er stand auf und frühstückte erst einmal in aller Ruhe. Beim Übersetzen mit dem Boot nahm er ein Ersatzruder und schnitzte sich daraus ein Schwert, mit dem er Kojiro gegenübertreten wollte. Als er damit fertig war, legte er sich hin und ruhte sich aus. Die Anwesenden waren mehr als überrascht, wie Musashi beim Duell erschien. Er hatte Kojiro vier Stunden warten lassen, war ungewaschen und besaß die Unverfrorenheit, ihm ohne ein richtiges Schwert zu begegnen.
Verärgert trat Kojiro Musashi entgegen, zog sein Schwert und warf die Scheide in den Fluss, worauf Musashi bemerkte: „Du hast verloren Kojiro. Würde ein Sieger seine Schwertscheide wegwerfen?“
Als Meister mit dem Langschwert verließ sich Kojiro auf den ersten Schlag, mit dem der Gegner tödlich getroffen werden sollte. Beide führten ihren Schlag gleichzeitig aus. Kojiro erwischte Musashi am Kopf und zerschnitt dessen Haarband. Der Kampf schien entschieden, doch war es zum Erstaunen der Zuschauer Kojiro, der tot zu Boden sank.
Die Stärke Kojiros lag in seinem perfekten ersten Schlag, doch hatte er nicht erkannt, dass Musashis Ruder noch ein paar Zentimeter länger war. Der Schlüssel zum Sieg liegt sehr häufig in der Kenntnis der Natur und des Charakters des Gegners.
„Kenne den Mann, kenne dessen Schwert.“
Die Belagerung von Osaka
Zwischen 1614 und 1615 nahm Musashi ein letztes Mal an einem Kampf teil. Die Belagerung von Osaka war eine Serie von Gefechten, in denen die Anhänger Hideyoris, des Sohnes und Erben des verstorbenen Hideyoshi, eine weitere Rebellion gegen das Tokugawa-Shogunat anstrengten. Musashi kämpfte auf der Seite der Tokugawa und gewann mit ihnen.
Die Kämpfe waren brutal und die wahrscheinlich blutigsten in der Geschichte des japanischen Bürgerkrieges.
Von über 400.000 Soldaten ist die Rede, die sich durch Sommer und Winter hindurch bekriegten. Tokugawa Ieyasu hatte die Absicht, den Widerstand ein für alle Mal zu brechen und das Land endgültig zu befrieden.
Die gegnerischen Generäle ließ er ohne Ausnahme hinrichten. Ähnlich wie beim Sklavenaufstand im alten Rom, wurden die getöteten Gefangenen entlang der Straße von Osaka nach Kyoto zur Schau gestellt. Ob bei Musashi diese schreckliche Erfahrung dazu führte oder sein Entschluss schon zuvor feststand, wissen wir nicht, jedoch soll er im Alter von 30 Jahren sein Schwert niedergelegt und nie mehr einen Menschen getötet haben.
„Danach übte ich mich von morgens bis abends in der Suche nach Wahrheit, und als ich fünfzig war, erkannte ich das Wesen der Schwertkunst.”
Späte Jahre
Die folgenden friedlichen Jahre verbrachte Musashi mit der Suche nach einem tieferen Verständnis seiner Kampfkunst. Er betätigte sich als Künstler, Maler und Metallarbeiter, gründete eine eigene Schule von Stichblattherstellern und unterrichtete natürlich die Kunst des Schwertes. 1643 zog sich Musashi in eine Höhle zurück und widmete sich die restliche Zeit der meditativen Versenkung und der Natur.
Einige Wochen vor seinem Tod verfasste er in seiner Höhle das Gorin-no-sho, „Das Buch der fünf Ringe“, in dem er seine Ansichten zum „Weg“ niederschrieb. Es gilt heute sowohl in der Schwertkunst wie auch in der Geschäftswelt als ein höchst respektiertes Werk.
1645 starb Musashi, der Legende nach aufrecht kniend, mit seinem Schwert in der Hand.
Die Samurai
Der Ursprung des Wortes Samurai stammt aus alten Zeiten. Das japanische Verb saberu bedeutet so viel wie „dienen“, „unterstützen“ oder auch „begleiten“. Entsprechend verstanden sie sich auch als „Diener“ oder „Beschützer“. Später etablierte sich die heute bekannte Form Samurai, während die Japaner selbst häufiger die Bezeichnung Bushi verwenden.
Bushido
„Bushido“ wird zumeist übersetzt mit „Weg des Kriegers“ und stellt den Ehrenkodex der Samurai oder der Bushi dar. Bemerkenswert ist, dass der Kodex nie einheitlich niedergeschrieben wurde. Es lassen sich, unabhängig von den zeitlichen Formen ihres Ausdrucks, sieben Tugenden als Teil der überzeitlichen Ethik der Samurai identifizieren:
1. Gi: die Aufrichtigkeit oder Gerechtigkeit
2. Yu: der Mut
3. Jin: die Menschlichkeit oder das Wohlwollen
4. Rei: die Höflichkeit oder das Befolgen der Etikette
5. Makoto oder Shin: die Wahrheit
6. Meiyo: die Ehre
7. Chugi oder Chu: die Treue oder Loyalität
Die Bildung und Erziehung in diesen Tugenden erfolgte in zweifacher Weise, weswegen der Weg des Kriegers als „doppelter Weg“ bezeichnet wird: „Bunbu-itchi“, was so viel wie Schwert und Pinsel oder auch Kriegskunst und Literatur bedeutet. Beide Dinge müssen in Harmonie gebracht werden. Ähnlich wie bei Platon findet sich in der Kaste der Krieger eine Erziehung, die sowohl die Handhabung von Waffen sowie das Musische vereinigt.
Wer Macht über Leben und Tod besitzt, aber keine Verbindung zur Schönheit in ihren zarten und zierlichen Aspekten hat, verroht mit der Zeit, da ihm Eigenschaften wie Güte oder Mitgefühl abgehen.
Doch sind es gerade die zarten und zerbrechlichen Dinge wie z.B. seine Werte, für die ein Krieger kämpft.
Literatur:
- Miyamoto Musashi: „Das Buch der fünf Ringe“, Ullstein-Verlag, 2005
- Mark Alan Dacascos: „Auf den Spuren der Samurai“, Dokumentarfilm, 2008
Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 149, Juli 2017 des Magazins Abenteuer Philosophie erstveröffentlicht
Autor: Simon Müller
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