Sollen wir über Kollapsologie sprechen?
Die Geschichte lehrt uns, dass Zivilisationen entstehen und fallen; da sie geboren werden, werden sie auch irgendwann sterben.
Manche sterben einen dramatischen Tod, andere verblassen einfach oder werden nach und nach ersetzt. Es ist sinnvoll, sich mit dem Sterben von vergangenen Zivilisationen und Kulturen auseinander zu setzen um zu sehen, was wir daraus lernen können.
Man kann heute in Paris schon einen Masterstudiengang über Kollapsologie belegen, bzw. einen Kurs über die Risiken, die dabei entstehen und wie man sich darauf vorbereitet.
Natürlich unter der Annahme, dass solche gesellschaftlichen Zusammenbrüche auch heute in unserer westlichen Industriegesellschaft passieren können.
Laut Jared Diamond, einem Akademiker und Autor des 2005 erschienenen Buches „Collapse - wie Gesellschaften zusammenbrechen oder überleben“, können wir bereits die Voraussetzungen für Zusammenbrüche in manchen Ländern feststellen: „Wie schon in der Vergangenheit erkennbar, kann es in Ländern, deren Umwelt geschädigt ist und die überbevölkert sind, oder beides, zu politischen Unruhen kommen und ihre Regierungen brechen zusammen. Wenn Menschen verzweifelt sind, unter Stress stehen und keine Hoffnung haben, dann beschuldigen sie die Regierung, die sie für verantwortlich halten, dass sie die Probleme nicht in den Griff bekommen. Die Menschen versuchen dann zu fliehen, und das um jeden Preis. Sie kämpfen um Land, sie morden sogar dafür und Bürgerkriege entstehen. Wenn Menschen nichts zu verlieren haben, werden sie selbst zu Mördern oder unterstützen terroristische Regimes.“
Würden wir heute unsere Erde auf ihre Gesundheit und Sicherheit hin prüfen, würden wir rasch einige ernste Bedrohungen feststellen. Trinkwasserknappheit, ausgelaugte Ackerböden, Klimawandel, Überbevölkerung, Verschmutzung und Umweltgifte, Ungleichheiten, fragile Wirtschaftssysteme und so weiter. Diamond zufolge sind das alles Zeitbomben, deren Sicherungssplinte bereits gezogen sind und die in einigen wenigen Jahren, längstens aber in 50 Jahren eskalieren werden.
Der Weg den wir heute beschreiten ist nicht nachhaltig, und entweder wir passen uns an, oder wir werden gezwungen werden, uns anzupassen. Wie bei jeder Bestandsaufnahme oder Sicherheitscheck ist es sinnvoll, alle Bedrohungen aufzulisten und sich entsprechend vorzubereiten.
Wie immer gibt es auch heute jene Menschen, die diese Probleme nicht wahr haben wollen und die solche Untersuchungen als `apokalytisch´ bezeichnen oder gar als religiöse Endzeitlehre. Aber sich die heutigen Gegebenheiten vor Augen zu führen und auf etwaige Probleme vorzubereiten ist nicht dasselbe, wie eine Weltuntergangsstimmung zu unterstützen und zu fördern. Als sie Sowjetunion zusammenbrach war das nicht das Ende der Welt. Als das Römische Imperium zerfiel, drehte sich die Welt weiter, aber eben nicht die Welt, wie die Römer sie kannten.
Das Versagen darin, Probleme nicht klar zu beschreiben, ihre zukünftigen Folgen nicht vorwegzunehmen, hat immer schon dazu beigetragen, dass Zivilisationen untergegangen sind.
Einer der Gründe, weshalb Probleme nicht wahrgenommen werden, besteht darin, dass es „Interessenskonflikte zwischen den kurzfristigen Interessen der herrschenden Klasse und den langfristigen Interessen der Gesellschaft als Ganzes gibt. Das gilt insbesondere, wenn es der herrschenden Klasse gestattet ist, sich nicht für ihre Taten verantworten zu müssen.“ Stellen sie sich vor, sie wären ein reicher Grundbesitzer und könnten ein Vermögen daran verdienen, den Wald zu roden, Ackerböden industriell zu bewirtschaften oder durch die Ausbeutung von Rohstoffen oder den Verkauf des Landes an rücksichtslose Investoren, um den Preis, dass dieses Land für zukünftige Generationen verloren ist. Wenn sie so viel daran verdienen könnten, würden Sie da zum Wohl zukünftiger Generationen oder des Ganzen widerstehen?
Wie auch immer, die meisten Menschen, die diese Wahl hatten, konnten in der Vergangenheit nicht widerstehen und darin liegt die Crux begraben: Unsere heutigen Probleme sind hausgemacht und so oder so, die Entscheidungen sind zugunsten der höheren Gewinne gefallen. Wenn diese Art des „Wirtschaftens“ und dieses materialistische Denken unsere gesellschaftlichen Entscheidungen weiterhin steuern und wenn wir ständig die sofortige Belohnung für unser Handeln einfordern, dann wird unsere industrielle Zivilisation an die Wand fahren. Wenn also Korruption und falsches Denken diese Gesellschaft zerstören, dann sollten vernünftige Werte und ehrliche Motive auch wieder eine neue Gesellschaft hervorbringen können.
Daher, ja, wir müssen über Kollapsologie, die Wissenschaft vom Zusammenbruch der Gesellschaft sprechen; und in diesem Zusammenhang neue menschliche Werte und Geisteshaltungen definieren, wenn wir diese Krise überstehen wollen, der wir gegenüber stehen. Wir müssen einen neuen Weg einschlagen, einen neuen Lebensstil schaffen, der eine Bildung anbietet als Grundlage für mehr Altruismus, mehr Zusammenhalt und Großzügigkeit. Um eine Gesellschaft schaffen, die wieder der Vernunft verpflichtet ist und nicht den Wünschen. Die Zukunft bleibt offen, aber es hat keinen Sinn, mit geschlossenen Augen auf sie zuzugehen.
Von Sabine Leitner
Dieser Artikel wurde auf library.acropolis.org im Original veröffentlicht, übersetzt aus dem Englischen von Christian Tazl